Vor dem Bundesparteitag sprach Michael Kretschmer mit dem Handelsblatt.
Herr Kretschmer, vor dem Parteitag in Leipzig ist die Stimmung in der CDU angespannt. Als Landesvorsitzender der CDU Sachsen werden Sie die Delegierten mit einem Grußwort empfangen. Was ist Ihre Botschaft?
Ich hoffe auf einen sehr diskussionsfreudigen Parteitag, bei dem die ganze thematische Breite unserer Volkspartei deutlich wird. Wir sollten uns ein Vorbild nehmen am Leipziger Parteitag 2003.
Was heißt das konkret?
Mir geht es um ein mutiges Programm, das die Freiheit in den Mittelpunkt stellt. Wir sind das Land mit den höchsten Steuern, Sozialabgaben und Energiepreisen. Gleichzeitig sind wir dabei, die Arbeitszeit zu reglementieren und zu reduzieren. Das wird so auf Dauer nicht gehen. Wir müssen bei den Belastungen der Wirtschaft und der Bürger wieder zu Maß und Mitte finden. Dafür steht die CDU. Das war Leipzig 2003. Und das ist heute wieder notwendig.
Aber das Reformprogramm, das man 2003 in Leipzig beschlossen hat, wurde zwei Jahre später bei der Bundestagswahl nicht wirklich honoriert. Warum sollte ein neuer Anlauf besser ankommen?
Es braucht diese Momente, bei denen man sich selbst vergewissert und bei denen man als Partei deutlich macht: Wir haben verstanden! Wir sind bereit zu Veränderungen. Voraussetzung dafür ist eine breite und offene Diskussion, die sicher zu einem Ruck führen wird.
Ist Annegret Kramp-Karrenbauer die richtige Parteichefin für diesen Ruck?
Ich führe keine Personaldebatten.
Inhalte sind aber mit Personen verknüpft. Themen wie Wettbewerbsfähigkeit, einen klaren Kurs für die Wirtschaft – das verbinden viele mit Friedrich Merz. Andere werfen ihm vor, mit seiner Kritik an der Bundesregierung der Union zu schaden. Wie sehen Sie das?
Wir sind eine Volkspartei, das unterscheidet uns von Klientelparteien wie den Grünen und der FDP. Wir müssen die ganze Breite abbilden. Daran arbeiten wir gerade: Wir haben Markus Söder und die CSU, die im Moment sehr grün unterwegs sind. Wir haben uns, die CDU in Sachsen, die als Stimme der kleinen Leute auftritt und sich über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Gedanken macht. Damit entsteht schon eine Breite. Wenn man den Blick für das Ganze verliert, dann bekommt man als Volkspartei Probleme. Das sehen wir bei der SPD.
Droht der CDU ein ähnliches Schicksal, ein schleichender Abstieg?
Wir haben alle Chancen, das zu verhindern. Das muss aber vor allem durch überzeugende Regierungsarbeit gelingen. Die Leute schauen doch nicht zuerst, welche Beschlüsse auf einem Parteitag gefasst werden. Sie wollen wissen, was die Regierung in Berlin in den kommenden zwei Jahren noch leisten kann und will. Das Pflichtenheft ist ausreichend gefüllt.
Und was steht dort drin?
Wenn ich mit Handwerksbetrieben spreche, höre ich unheimlich viel Missmut über bürokratische Auflagen, etwa bei der Dokumentation von Arbeitszeiten. Besitzer von kleinen Läden fürchten die Bon-Pflicht oder das drohende Verbot von Plastiktüten. Kommunalpolitiker klagen, dass sie beim Bau einer Straße nicht weiterkommen, weil Auflagen und Vorschriften es ihnen unmöglich machen. Für mich geht es darum, Freiheit und Regulierung wieder in die richtige Balance zu bringen.
Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer hat der Union vorgeworfen, dass sie sich zu oft von der SPD erpressen lasse und die Arbeit der Großen Koalition eine soziale Schlagseite habe.
Sozialpolitik ist wichtig. Aber wir dürfen nicht nur darüber sprechen, wie wir leben wollen, sondern vor allem wovon.